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Der unheimliche Schengen-Krieg


Man sieht es im Internet, hört es im Fernsehen und Radio, ja spürt es geradezu in der Luft: Rumänen endecken ihr Nationalbewusstsein neu. Sie haben es satt, so würde es scheinen, ständig gegängelt und gedrängelt zu werden. Sie schauen auf das europamüde Europa und was sie sehen, gefällt ihnen nicht: Solidarität nur unter Druck oder aus Geldgier, doppelte Maßstäbe, Fremdenfeindlichkeit. Das Bild, das sich die Rumänen von Europa machen, ist kein schönes: Ihr Europäer habt bei offensichtlicher Korruption beide Augen zugedrückt, ihr wolltet uns in der EU, um eure Produkte loszuwerden. Ihr habt uns wegen der Diskriminierung von Roma geächtet, jetzt tut ihr genau das gleiche. Und jetzt sagt ihr uns, dass wir unsere Grenzen nicht richtig absichern können, während über Griechenland und Italien regelrechte Migrantenströme nach Europa ziehen. Ihr bescheinigt uns amtlich, dass wir technisch für Schengen fit sind, führt aber neue Konditionen ein (dabei haben wir zig Millionen Euro in Grenzsicherheit investiert, uzw. in europäische Geräte, die euch Jobs und Steuereinnahmen beschert haben).

 

Natürlich sind sich die meisten hierzulande bewusst, dass zumindest die Korruptionsvorwürfe aus Europa den Nagel auf den Kopf treffen. Schließlich wird in jeder Kneipe über die gleichen Politiker und Beamte geflucht. Oder besser gesagt, wurde. Denn eben diese korrupten Politiker haben einen Handelskrieg angestoßen, der dem Volk am Herzen liegt. (Einen Krieg, den sie nicht gewinnen können, doch werden sie dem Volk das natürlich nicht sagen). Aber die Menschen hier im Land projizieren ihre Wut auf Europa. Ihr wollt uns nicht im Schengenraum? Dann zeigen wir euch, wie es ist, wenn wir nicht drin sind: Wir kontrollieren eure LKW bis auf die letzte Schraube. Und das ist nur die staatliche Linie (Präsident Basescu sagte am Mittwoch in einem Fernsehinterview, dass Tulpen nur der Anfang und Molkereiprodukte aus mehreren Ländern wegen vielfacher Umgehung der Steuer als nächstes dran sind). Überall im rumänischen Internet werden Boykottaufrufe laut: kein Benzin bei Shell tanken, ING-Konten auflösen, nur koreanische Fernseher und DVD-Player kaufen, auf Nokias verzichten.


Für beide Seiten ist dieser Krieg ein Fehler.


Durch die Einstellung in Sachen Schengen legitimiert die EU den Populismus. Sie spielt unfähigen und korrupten Politikern in die Hände – eben standen sie noch auf der Abschusslinie der Presse und der Bürger, jetzt gelten sie als Helden. Weil sie, um es derb auszudrücken, Cojones zeigen. Ein neues Feindbild entsteht - Europa (speziell Holland und Finnland, aber auch Frankreich). Und die EU kann sich kaum neue Euroskeptiker leisten.


Ein regelrechtes Boykott europäischer Produkte können sich Rumänen natürlich auch nicht leisten - es gibt einfach nicht genug einheimische Waren, um die Differenz auszugleichen. Darüber hinaus werden viele rumänische Mitarbeiter in allen Branchen getroffen. Und noch etwas: langsam gehen Rumänien die Freunde aus. Mit Russland liegt man wegen Transnistrien im Clinch, mit Europa geht man auf Kollisionskurs. Den USA ist Rumänien abgesehen von der strategischen Lage egal.


Was ist zu tun? Beide Seiten haben Dampf abgelassen. Das ist in jeder Verhandlung ein wichtiger Schritt. Nun muss man sich aber zusammensetzen. Und nach Lösungen für die entstandene Situation suchen. Holland und Finnland, aber auch Frankreich und Deutschland müssen ihre Vorbehalte näher konkretisieren. Dann kann man daran arbeiten, sie in einem vernünftigen Zeitrahmen abzubauen. Vielleicht auch durch Grenzpolizisten aus eben den Staaten, in denen diese Vorbehalte existieren - warum eigentlich nicht?!

 


Der Kommentar

Der unheimliche Schengen-Krieg

Donnerstag, 22. September 2011 von Alex Gröblacher

Man sieht es im Internet, hört es im Fernsehen und Radio, ja spürt es geradezu in der Luft: Rumänen endecken ihr Nationalbewusstsein neu. Sie haben es satt, so würde es scheinen, ständig gegängelt und gedrängelt zu werden. Sie schauen auf das europamüde Europa und was sie sehen, gefällt ihnen nicht. Ihr wollt uns nicht im Schengenraum? Dann zeigen wir euch, wie es ist, wenn wir nicht drin sind: Wir kontrollieren eure LKW bis auf die letzte Schraube.

Für beide Seiten ist dieser Krieg ein Fehler. 

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Blog

"Gehen Sie zu Pesamosca"

Donnerstag, 01. September 2011 von Anne Warga

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